Die Schreiber hatten ihre eigenen Viertel. Am Chandni Chowk in Old Delhi oder auf der Plaza de Santo Domingo in der Altstadt von Mexico City. Ich blieb stehen und schaute ihnen zu, wann immer ich vorbeikam, und wenn ich in der Altstadt war, zog es mich unweigerlich zu ihnen hin. Da saßen sie vor ihren uralten Schreibmaschinen, oft auch nur mit Federkielen oder Füllfederhaltern, die Tintenfässer an der Seite, den sauberen weißen Papierbogen eingespannt oder vor sich liegend. Es faszinierte mich, wie sie den Worten ihrer Auftraggeber lauschten, sie aufnahmen, rückfragten, den Sinn der meist verworrenen Rede von Schriftunkundigen erfassten und zu Papier brachten: trockene Anträge für Amtsstuben, überschwängliche Dankesbriefe, devote Bittschreiben, glühende Liebesbriefe, ernste Anweisungen für die Nachkommen und manchmal sogar die Erzählung eines ganzen Lebens.
Diese archaischen Schreiber folgten den Gedanken ihrer Kunden, legten sie aus, gaben ihnen eine Zielrichtung und brachten sie in Schriftform. So wurden sie zu Treuhändern der Menschen, die sich ihnen auslieferten, um ihr Anliegen mitteilen zu können. Sie mussten nicht nur Wunsch und Willen ihrer Auftraggeber erfassen, sich hineindenken in deren Leben. Sie mussten gleichermaßen um die Eigenheiten der Adressaten wissen, wie jene wirkungsvoll angesprochen werden konnten, auf welche Empfindsamkeiten ihr Schriftsatz treffen würde. Sie waren Schreiber, ja, aber Schreiber, die nicht nur das Alphabet, sondern auch das Leben kannten.
Als Auslandskorrespondent verdiente ich meinen Unterhalt ebenfalls mit Schreiben, gehörte zu ihrem Berufsstand. Aber meine Arbeit war anders und lieber hätte ich es ihnen gleichgetan: sich widmen nur der Sinnerfassung, -formung und –vermittlung. Nicht zu schreiben aus anmaßender eigener Einschätzung dessen, was vermeintlich wichtig ist – für ein abstraktes Publikum, das vielleicht ganz andere Vorstellungen hatte. Sondern unmittelbarer Mittler zu sein, ohne Zweifel an Sinn und Wert der Arbeit. Als Journalist versuchte auch ich, Zusammenhänge zunächst zu begreifen, sie zu ordnen, in einen Kontext zu stellen, um sie dann in eine dem Leser verständliche Form zu bringen. Aber woher wusste ich, ob meine Arbeit, wenn auch gut bezahlt, nicht nur l’art pour l’art war, für alle verzichtbar, außer für mich, der ich davon lebte. Die Schreiber in Indien und Mexiko erreichten kein großes Publikum, aber sie stifteten den Wenigen, für die sie schrieben, echten Nutzen.
In achtundzwanzig Ländern auf vier Kontinenten habe ich dreißig lange Jahre gearbeitet, mich mit Wirtschaft und Politik in diesen Ländern, mit Lebensart, Charakter und Beziehungsgeflechten der Menschen auseinandergesetzt, das Leben in einer Vielfalt kennengelernt, wie es nur wenigen vergönnt ist. Jetzt kann ich es den Schreibern in Indien und Mexiko nachtun, kann mein Talent, mein Handwerk und meine Erfahrung in den Dienst von Menschen stellen, die ihre Geschichte – die ihres Lebens, ihrer Berufung oder ihres Unternehmens – erzählen wollen.